– Ein Rückblick –
Dass die Arbeit zur Förderung einer demokratischen Kultur in Sachsen momentan nicht den leichtesten Stand hat, offenbarte sich uns schon bevor wir in den Bus steigen konnten. Der Intercity, welcher uns nach Dresden bringen sollte, fiel wegen eines technischen Defektes aus, dann stand eine Teilnehmerin am falschen Bahnhof und zu allem Überfluss sagte die Wetter-App auch noch Hitze für die beiden Tage voraus. Das könnte als schlechtes Omen gedeutet werden, doch Probleme und Herausforderungen schweißen auch zusammen.
Wenn Orte der Demokratie in Sachsen eines gemeinsam haben, dann ist es Ausdauer, Durchhaltevermögen, Zusammenhalt und vor allem Spaß an ihrer Arbeit, die auch durch schlechte Zeiten hilft. Meistens jedenfalls.
So begann nach diesen kleineren Startschwierigkeiten eine durch und durch gelungene Bustour quer durch den Freistaat.
Insgesamt waren zwischen 20 und 25 Teilnehmende mit an Board, mit denen es zu fünf verschiedenen Orten der Demokratie ging, die allesamt ein spannendes Programm vorbereitet hatten. Aber auch die Busfahrten waren ein Erlebnis für sich. Die Reiseleitung sorgte mit einem kleinen Programm für Unterhaltung und vor allem Austausch unter den Mitreisenden.
Am ersten Tag ging es nach Rodewisch, Aue und Annaberg-Bucholz.
In Rodewisch lernten die Teilnehmenden eine engagierte Verwaltung und eine couragierte Bürgermeisterin kennen, die es wichtig finden, dass Menschen sich einbringen in ihre Kommune. Hierfür ist es notwendig das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen und einen niedrigschwelligen Zugang zueinander, aber auch zu ihrer Verwaltung zu ermöglichen. Niedrigschwellig bedeutet hierbei manchmal erst einmal den Alltagssorgen der Menschen ein Ohr zu schenken, bevor man mit ihnen auch über ihre eigene Verantwortung und vielleicht sogar ihr Engagement ins Gespräch kommt. Auch in Rodewisch fehlte wie in so vielen anderen Kommunen einfach ein Ort, wo Menschen sich begegnen können. So entstand das ROWI Labor, das eben auch ein Ort zum (mit)gestalten sein soll. Das erste größere Projekt, welches wir bei einem Stadtspaziergang bestaunen konnten in den Schaufenster einiger Ladenlokale ist eine Ausstellung, welches das vielfältige ehrenamtliche Engagement der Stadt zeigt und vor allem jung und alt in einen Dialog bringt.
Die Mitreisenden zeigten sich zurück an Board beeindruckt von der Energie vor Ort und vor allem der Bürgermeisterin.
Beeindruckt hat mich…
* die Bürgermeisterin – starke Frau
* Kreativität des Engagements
* das Auftreten der Bürgermeisterin und ihr Engagement
* Klarheit der Bürgermeisterin in ihrer Haltung
* Rolle starker Frauen in dem Projekt
* 50% Frauenanteil im Stadtrat in Rodewisch
* gute Organisation und Teamgeist
* 44 Vereine bei 6500 Einwohner:innen
* wie cool eine CDU Bürgermeisterin sein kann
* Energie der Menschen im Projekt
* Brennende Herzen
* Spass, den die Menschen im ROWI Labor bei ihrer Arbeit haben
Fragen, die sich die Mitreisenden stellten, nach diesem beeindruckenden Start:
* Wie kann man Menschen zu mehr Engagement bewegen?
* Wo findet im ROWI Labor konkret demokratisches Lernen statt? Wo werden Entscheidungen ausgehandelt/ mitbestimmt?
* Wie könnte ich ein ähnliches Projekt aufziehen?
* Was bringt die Landesgartenschau dem Ort?
* Wie kann das Projekt konstituiert und in andere Kommunen übernommen werden?
* Wie das Wie besprechen?
* Wie kommt man von der Demokratiebildung zu nachhaltigen Strukturen der Bürger:innenbeteiligung?
* Was passiert, wenn es keine Förderung mehr gibt?
* Wie kann man solche Bürgermeister:innen unterstützen und den Spirit dieses Ortes in andere Orte übertragen?
* Braucht es so einen Ort nicht überall?
* Gibt es Engagement nur bei finanzieller Förderung?
* Wie lange halten sie durch?
* Welche Partei wird die nächste Bürgermeister:innenwahl in Rodewisch gewinnen?
Nach einem solch gelungenen Start ging es weiter nach Aue.
Dort erwartete uns der offene Bürgertreff und das Modell eines Bürgerbahnhofes, welches in Bad Schlema entstehen soll, aber zur Zeit noch eine Baustelle ist. Auf einem Stadtrundgang zeigte uns Felix Sell, der Mitarbeiter des Projektes verschiedene Orte in Aue, die sie für Veranstaltungen bereits genutzt haben und sprach über die Erfahrung mit solch offenen Formaten. Dabei ließ er auch die Schwierigkeiten nicht aus, die sich bei ihrem fast dreijährigen Engagement ergeben hätten. Sofort wird klar, in Aue ist es ganz anders als in Rodewisch. Hier gibt es sie nicht die klare, engagierte Bürgermeisterin, hier kämpft die Zivilgesellschaft eher für sich. Eine Gemeinsamkeit vieler Orte der Demokratie und anderer Engagierter in Sachsen. Auch in Aue versucht man über einen offenen Raum/ eine offene Tür erst einmal mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch hier kommt man über die alltäglichen Probleme zu anderen Themen. Leicht ist es nicht, die Menschen vom meckern ins machen zu bringen. Vertrauen und Beziehung muss man sich erarbeiten, das ist manchmal ein langer Weg. Um so schöner, dass es mit dem Bürger:innenbahnhof jetzt einen Ort geben wird, der gemeinsam gestaltet und später genutzt werden kann. Hierbei Entscheidung gemeinsam und demokratisch zu treffen, wird für alle ein Lernfeld sein.
Zum Abschluss des Tages führte unser Weg nach Annaberg – Buchholz zur Alten Brauerei. Lange Zeit im soziokulturellen Geschäft unterwegs, wollte sich die Alte Brauerei in ihren Aktivitäten erweitern und den Ort mehr öffnen für andere Themen und damit auch für neue Menschen. Inklusiver möchte die Alte Brauerei in Zukunft sein und deshalb wurde während unseres Besuches die neu gebaute Rampe eingeweiht. Durch dieses Projekt entstanden neue Kooperationen mit Menschen mit Beeinträchtigungen, die nun intensiviert werden können. Betont wurde an diesem Abend, dass Inklusion zur Demokratie dazu gehört, ja ohne sie eigentlich nicht denkbar ist. Demokratie möchte allen Menschen den Zugang zu gemeinsamen Entscheidungsprozessen ermöglichen. Eine Rampe ist dabei ein erster Schritt, weitere müssen folgen. Herzstück des Projektes vor Ort ist der selbstorganisierte Chor, der sich in seinen Liedern vor allem mit Themen der Demokratie und demokratischen Werten beschäftigt. „Ich wusste gar nicht, dass man Menschenrechte auch singen kann.“ sagte eine Mitreisende sichtlich beeindruckt. Zum Abschluss gab es die Möglichkeit sich mit verschiedenen Akteur:innen aus Annaberg – Buchholz auszutauschen und mehr zu erfahren über ihre Arbeit vor Ort und die Kooperation mit dem Projekt.
Gut ausgeschlafen ging es am nächsten Morgen weiter nach Limbach – Oberfrohna, wo wir gemeinsam mit der Staatsministerin für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung sowie weiteren Vertreter:innen von Bundes – und Landespolitik einem bewegenden Vortrag beiwohnen konnten, der sich unter anderem mit dem Aufwachsen in einer von rechter Gewalt geprägten Region beschäftigte. Trotz zahlreicher Widerstände und fehlender Unterstützung der Stadtspitze und der Stadtgesellschaft hat es eine handvoll junger Menschen geschafft, nicht weg zu gehen, zu bleiben und gemeinsam einen Ort aufzubauen, der ihnen Raum gibt für ihre Ideen. Vielleicht ist das der einzige Weg, um mit der alltäglichen Gewalt fertig zu werden, haben sich sicher einige gefragt. Der Zusammenhalt in der Gruppe hat die Menschen geprägt und sie mutig gemacht, bis heute. Heute wollen diese jungen Menschen mehr als nur einen geschlossenen und sicheren Raum für sich. Sie wollen, dass sich etwas verändert vor Ort. Dazu müssen sie eben auch andere Menschen erreichen, ihre Gruppe vergrößern. Deshalb haben sie seit kurzem einen weiteren Raum in der Stadt mit großen Schaufenstern und einer hellen einladenden Atmosphäre. In dieser tauschten sich die Mitreisenden bei hohen Temperaturen schweißtreibend zu verschiedenen Fragen aus, die die Mitarbeiter:innen des Projektes an sie stellten.
Den Schlusspunkt bildete der Besuch in Pödelwitz, das sich uns mal wieder einmal von seiner widerständigen Seite in sommerlicher Idylle zeigte. Nach einer kleinen Stärkung erfuhren die Mitreisenden mehr über die Geschichte der Widerstandsbewegung des Ortes und die Wünsche der noch hier lebenden Menschen und Zugezogenen. Sie lernten eine engagierte Pfarrerin kennen, die die Idee eines Erhaltes und der Wiederbelebung des Ortes unterstützend zur Seite steht. In den letzten Jahren sind die Pödelwitzer:innen ihrem Wunsch nach einem Modelldorf der Zukunft ein Stück näher gekommen. Beharrlichkeit und Widerstand zahlen sich auch hier aus. Eine große Idee wandert von den Köpfen, auf das Papier und kann vielleicht in den nächsten Jahren in der Realität verwirklicht werden. Wir drücken die Daumen.
Angefüllt mit vielen neuen Eindrücken und Wissen kamen wir am Leipziger Hauptbahnhof an. Hier nahmen wir Abschied von den Mitreisenden und diese voneinander. Einige neue Kontakte waren entstanden, eine Vielzahl an Eindrücken müssen verarbeitet werden und die Erfahrungen an andere weitergegeben. Deutlich geworden ist allen, dass Orte der Demokratie oder Orte des Gemeinwesens sehr vielfältig sein können und oft auch müssen, vor allem im ländlichen Raum, weil sie oft alleine agieren und viele Bedarfe abdecken müssen. Das ist nicht immer leicht, aber durchaus machbar.
Wie wir uns diesen Ort Wünschen und welche Menschen es braucht, haben wir gemeinsam festgehalten:
* Frauenpower
* Barrierefreiheit
* ausreichend große Räume
* Kontinuität
* Kaffeemaschine
* Lichtkonzept
* Filmwand
* Musikabspielgeräte
* Beamer
* Willkommensschild
* Toiletten
* gutes Essen
* Vielfalt
* sichere Immobilie
* Offene Türen
* Teil der lokalen Stadtgesellschaft sein
* Partizipationsmöglichkeiten
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* spannende Leute mit Lust an ihrer Arbeit
* Leute die mitreißen können, nicht überakademisch, die Menschen abholen und einen Bezug herstellen
* Menschen, die sich nicht so wenig nehmen
* Menschen mit offenen Ohren
* Menschen aus verschiedenen Peergroups
* Macher:innen
* Menschen, die Vertrauen haben in andere Menschen und das sie die Projekte gut umsetzen werden
* Menschen die offen und herzlich auf andere zugehen
* Liebe
* optimistisch, aber auch realistisch
* vielfältige Hintergründe (diverse Teams)
* empowernd mit professioneller Distanz
* beziehungsstiftend
Rückblickend sind wir dankbar für die tollen Gespräche, die sehr schöne Atmosphäre im Bus und an den Orten und die wunderbare Unterstützung des Busfahrers von berlinbus.de, der uns während der zwei Tage begleitete.
Eines ist klar geworden auf dieser Reise, wir brauchen Orte, an denen Menschen sich begegnen können, lernen und gemeinsam Ideen spinnen. Menschen brauchen Beziehungen und die Demokratie Menschen, die gemeinsam gestalten (wollen). Lassen sie uns dafür sorgen, dass Menschen wieder in Beziehung kommen, um die Demokratie langfristig zu stärken.
Finanziell wurde die Tour unterstützt durch Steuergeldern auf Grundlage des vom sächsischen Landtages beschlossenen Haushaltes über das Programm „Orte der Demokratie“ sowie die Amadeu Antonio Stiftung.